klühs notar

Keine Nichtigkeit eines Testaments zugunsten des behandelnden Arztes

Gleich zwei Entscheidungen haben die seit Jahren schwelende Frage geklärt, wie weit berufsrechtliche Zuwendungsverbote die privat-autonome Nachlassgestaltung beschneiden dürfen: Mit Urteil vom 2. Juli 2025 (IV ZR 93/24) hat der IV. Zivilsenat des BGH die Testierfreiheit sichtbar gestärkt und die erbrechtliche Unwirksamkeit einer Vermächtniszuwendung an den behandelten Arzt verneint; bereits zuvor hatte das OLG Frankfurt a. M. in einem Erbscheinsverfahren im selben Sinne entschieden (Beschl. v. 21. 12. 2023 – 21 W 91/23).

§ 32 BO-Ä ist berufsständische Norm

Ausgangspunkt des BGH-Falls war ein notariell beurkundeter „Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag“, in dem sich der seit 2015 behandelnde Hausarzt zu ärztlichen und betreuenden Leistungen verpflichtete; als Gegenleistung sollte er im Todesfall ein Grundstück des Erblassers erhalten. Später setzte der Erblasser die Pflegerin für das übrige Vermögen als Alleinerbin ein. Nach dem Erbfall verlangte der Insolvenzverwalter des Arztes die Übereignung des Grundstücks an die Masse. Während die Vorinstanzen das Vermächtnis über §§ 134, 2171 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen § 32 Abs. 1 BO-Ä (Ärztekammer Westfalen-Lippe) als unwirksam ansahen, hat der BGH die Sache anders gewichtet: § 32 BO-Ä sei lediglich eine berufsständische Norm, die ausschließlich das Verhältnis Arzt/Ärztekammer ordne, nicht aber Patient:innen oder die Erwartungen ihrer Angehörigen schütze. Eine erbrechtliche Nichtigkeitsfolge lasse sich daraus nicht ableiten. Vor allem verbiete die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Testierfreiheit, ein zugunsten des behandelnden Arztes angeordnetes Vermächtnis pauschal zu kassieren; eine solche Grundrechtsbeschränkung bedürfe einer gesetzlichen Grundlage des Parlamentsgesetzgebers, nicht eines Berufsverbandes. Der Senat hob daher das Berufungsurteil auf und verwies zurück – ausdrücklich mit dem Hinweis, dass im zweiten Durchgang (nur) noch eine etwaige Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) der konkreten Abrede zu prüfen ist.

OLG Frankfurt bereits vorher auf BGH-Linie

Der Frankfurter Beschluss war in dieselbe Richtung vorgegangen: § 32 BO-Ä sei – anders als Verbote im Heimbereich (früher § 14 HeimG, heute § 6 HBPG) – verfassungskonform so auszulegen, dass ein Verstoß nicht zur Teilnichtigkeit eines Testaments führt; andernfalls läge ein unangemessener Eingriff in die Testierfreiheit vor. Konkrete Anhaltspunkte für Testierunfähigkeit sah der Senat nicht; die Rechtsbeschwerde ließ er wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.

Sittenwidrigkeitsprüfung im Einzelfall erforderlich

Dogmatisch schärfen beide Entscheidungen zwei Linien: Erstens trennen sie sauber zwischen berufsrechtlicher Pflichtenbindung und zivilrechtlicher Wirksamkeitskontrolle. Berufsrecht sanktioniert gegenüber der Kammer – es „infiziert“ nicht automatisch die privatrechtliche Verfügung von Todes wegen. Zweitens rücken sie die Grundrechtsdogmatik ins Zentrum: Wo der Gesetzgeber die Testierfreiheit beschneiden will, muss er das ausdrücklich regeln; berufsständische Selbstverwaltung genügt dafür nicht. Praktisch bedeutet das: Zuwendungen an Ärzt:innen sind nicht per se nichtig. Sie bleiben aber einer strengen Einzelfallprüfung nach § 138 BGB zugänglich – insbesondere, wenn Ausnutzung von Abhängigkeit, erhebliche Willensschwäche oder ein auffälliges Leistungsgefälle vorliegen (hierzu vgl. unseren Blogbeitrag). Genau diese Sittenwidrigkeitsprüfung hat der BGH dem Berufungsgericht für den konkreten Erbvertrag nachzuholen aufgegeben.

Fazit

Der IV. Zivilsenat hat den Kompass neu kalibriert. Berufsrecht bleibt wichtig – aber als Sanktionsrecht gegenüber der Profession, nicht als „heimlicher“ Nichtigkeitshebel im Erbrecht. Wer Ärzt:innen bedenken will, darf das grundsätzlich tun. Missbrauchsfälle adressiert nicht das Berufsrecht via § 134 BGB, sondern die klassische Sittenwidrigkeitskontrolle. Für Nachlassgerichte und Grundbuchämter heißt das: weniger Automatismus, mehr sorgfältige Feststellungen zum Einzelfall.

Haben Sie zu diesem Thema Fragen oder Anregungen? Dann sprechen Sie meine Mitarbeiter oder mich gerne an.

Dr. Hannes Klühs

29 Aug., 2025

Notar Dr. Klühs

Dr. Hannes Klühs, Notar in Düsseldorf

Nach Studium und Referendariat in Frankfurt am Main arbeitete ich in den Jahren 2004 bis 2007 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bank- und Kapitalmarktrecht der J.W.G.-Universität in Frankfurt am Main für Prof. Dr. Dr. h.c. Theodor Baums sowie am Institute for Law and Finance (ILF). Im Jahr 2006 wurde mir für meine Dissertation der Doktorgrad der Universität Leipzig verliehen. Während meines Notaranwärterdienstes war ich in meinen heutigen Amtsräumen bei den Notaren Dr. Jörg Tröder und Johanna Brücker in Düsseldorf tätig und ab dem Jahr 2009 als Referent an das Deutschen Notarinstitut in Würzburg (DNotI) abgeordnet. 2013 wurde ich zum Notar auf Lebenszeit in Düsseldorf bestellt. In 2019 begründete ich mit Notarin Johanna Brücker die Sozietät brücker & klühs, notare in Düsseldorf. Seit ihrer Verabschiedung in den Ruhestand im Jahr 2024 führe ich das Notariat als ihr Amtsnachfolger alleine fort. Ich verwahre darüber hinaus die Akten verschiedener anderer Notare. Eine Liste finden Sie hier.